Barocke Orgelgehäuse neu interpretiert

Am vergangenen Dienstag habe ich bei meiner Fahrt durch den Kreis Cloppenburg einige Orgeln dort besucht – teilweise gespielt, teilweise nur fotografiert. Dazu gehörte auch die Orgel in der Pfarrkirche St. Johannes Baptist in Molbergen mit ihrem prächtigen barocken Gehäuse.

Dieses Gehäuse hat meine Gedanken jetzt einmal auf die Frage nach der Authentizität einiger barocker Orgelgehäuse von Alfred-Führer-Orgeln im Oldenburger Land gelenkt.

In der alten Kirche in Molbergen baute der Osnabrücker Orgelbauer Johann Adam Berner 1724 eine einmanualige Orgel mit 11 Registern auf Prinzipal-4'-Basis und angehängtem Pedal. Das Klangwerk ist in der Vergangenheit mehrfach erneuert worden: 1890 – nur wenige Jahre vor dem Kirchenneubau – baute Arnold Bernhard Kröger aus Goldenstedt eine neue zweimanualige Orgel in das vorhandene Gehäuse. In der neuen Kirche fand diese Orgel dann zwar wieder Aufstellung, der Prospekt wurde aber nach einem Entwurf des Kirchenarchitekten Hilger Hertel neu angefertigt. Über diese Neuanfertigung liegen mir keine Details vor – aber offensichtlich fand der Prospekt der Berner-Orgel von 1724 dabei in Teilen wieder Verwendung. Das heutige Orgelwerk wurde von der Wilhelmshavener Werkstatt Alfred Führer 1964 mit 30 Registern auf drei Manualen und Pedal erbaut. Dabei wurden die noch vorhandenen barocken Gehäuseteile wiederverwendet und – bekrönt mit zwei alten Engelsfiguren und dem König David – ergänzt durch Schnitzereien des Bildhauers Wilhelm Kunst aus Zetel.

Wenn wir somit heute bei der Orgel in Molbergen von einem barocken Orgelgehäuse sprechen, so ist das nur bedingt richtig: Im Grund genommen zeigt sich hier eine Neuinterpretation der seinerzeit noch vorhandenen barocken Gehäuseteile im Sinne des Orgelneubaus von 1964. Welcher Bestandteil des Gehäuses original von 1724 ist, und welcher eine spätere Zutat ist, kann ich aus den mir vorliegenden Akten leider nicht genau erschließen. Angesichts der Tatsache, dass die ursprüngliche Berner-Orgel auf Prinzipal-4'-Basis stand, könnte ich mir vorstellen, dass das Rückpositiv-Gehäuse der originale Bestandteil ist, und das gesamte Hauptgehäuse mit Hauptwerk, schwellbarem Brustwerk und Pedaltürmen neueren Datums ist. Nichtsdestotrotz finde ich die Proportionen eigentlich ziemlich gelungen – das architektonische Zusammenspiel der gestalterischen Elemente ist durchaus überzeugend und kann auch im Vergleich mit noch erhaltenen Berner-Prospekten, z. B. dem im Stift Fischbeck (Johann Adam Berner 1736), bestehen. Lediglich die an beiden Seiten verbindenden Prospektelemente zwischen fünfachsigem Hauptgehäuse und den Pedaltürmen mit dem darunterliegenden massiv-grauen Untergehäuse sind nicht im Stile Berners und nehmen dem Gehäuse seine ansonsten filigrane Leichtigkeit. Über die Farbfassung kann man sich streiten – sie wurde in der Vergangenheit mehrfach verändert: 1809, 1909, 1964 und zuletzt im Rahmen der letzten Kirchensanierung um 2000. Das Grau des Grundkorpus hätte für meinen Geschmack eine stärkere farbliche Akzentuierung im Kirchenraum vertragen. Dem Gesamteindruck der Orgel tut das aber keinen Abbruch.

 

Bei den Gedanken zur Molberger Orgel kamen mir weitere Orgeln aus der Werkstatt Alfred Führer in den Sinn, die in ähnlicher Weise barocke Orgelgehäuse-Bestandteile neu interpretieren. Zum Beispiel die Orgel in St. Marien Vechta-Oythe, 1977 von Alfred Führer erbaut und im Gehäuse der Johann-Adam-Berner-Orgel von 1726. Der im Grunde gelungene Anblick der Orgel wird hier ein bisschen gestört durch das massive Gitterwerk im Untergehäuse, hinter dem sich – wie auch in Molbergen – ein schwellbares Brustwerk verbirgt. Und nach meinem Geschmack fehlt dem Hauptgehäuse umgebendes Schnitzwerk (Bekrönung und seitliche „Ohren“), wie es sicherlich ursprünglich vorhanden war. Andererseits muss man natürlich auch nicht alles auf Verdacht rekonstruieren, was nicht mehr vorhanden ist.

 

Ein anderes Beispiel ist der monumentale Barockprospekt in der St.-Vitus-Kirche Löningen. Über die dortige Orgel (Alfred Führer 1970) hatte ich ja schon am 19. Januar berichtet. Das Gehäuse stammt von der 1768 von Johann Gottlieb Müller (Paderborn) für die Franziskaner-Klosterkirche in Vechta erbauten Orgel, die im Zuge der Säkularisation nach Löningen kam. Beim Orgelneubau 1970 wurde das vorhandene Gehäuse durch Alfred Führer verbreitert: Neu hinzukamen die beiden hohen Prospekttürme mit ihren jeweils drei Prospektpfeifen sowie die beiden ganz äußeren Türmchen, die die Fenster zum Teil verdecken. Die Monumantalität des Gehäuses ist beeindruckend und dem großen Kirchenraum durchaus angemessen. Doch so hundertprozentig kann mich das Gehäuse in seinen Proportionen nicht überzeugen. Auf der einen Seite fehlt mir eine klare Struktur der Werke – zumal die Werkaufteilung im Innern sich keinesfalls in der Prospektaufteilung widerspiegelt – zum anderen sind die Verläufe der Gehäuse-Oberkanten und die Labienverläufe untereinander nicht stimmig. Vor meinem inneren Auge habe ich einmal auf beiden Seiten die äußeren Felder entfernt, so dass die hohen Prospekttürme auf beiden Seiten die begrenzenden Gehäuseelemente wären (das wäre sogar fast machbar, da sich in den seitlichen Gehäuseteilen kaum „Inhalt“ befindet). Auch wenn die Labienverläufe hiermit noch nicht verbessert wären, würde die Orgel damit für mich ein kompakteres, schlüssigeres Ensemble darstellen. Andererseits müsste man damit auch originale Gehäuseteile entfernen. Das wäre also sozusagen eine Neuinterpretation der Neuinterpretation eines barocken Orgelgehäuses.

 

Ein letztes Beispiel soll die Orgel in der St.-Aegidius-Kirche in Berne sein, deren Geschichte – sowohl der Klanggestalt als auch der Gehäuseelemente – noch wesentlich vielschichtiger ist als bei den vorgenannten Orgeln. An dem Äußeren der Orgel ist sehr vieles, auch wenn es auf den Blick nicht den Anschein macht, ein Werk des Orgelbauers Alfred Führer von 1960. Dazu gehört die gesamte architektonische Anlage der Orgel wie auch z. B. die Bemalung der Pfeifen und der Neubau des Rückpositivs. Inwieweit das alles aus historisierender, restaurativer Sicht gelungen und gerechtfertigt ist, darf und soll man diskutieren. Für die Zeit – 1960 liegt ja inzwischen auch schon über 60 Jahre zurück – sind die gefundenen Lösungen durchaus überzeugend. Und dass das Rückpositivgehäuse in Berne nicht streng nach historischen Vorbildern gestaltet ist, sondern in seinen strengen Linien durchaus als neuere Zutat zu erkennen ist, ist ja durchaus auch nicht verkehrt – auf jeden Fall in meinen Augen, stimmiger und eleganter gelöst als beispielsweise der unschöne „Kasten“ in der Emporenbrüstung der Orgel im Billerbecker Dom.

 

Alle genannten Beispiele sind somit Interpretationen bzw. neue Arrangements barocker Orgelgehäuse-Elemente aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts. Bei allem Bewusstsein für historische Authentizität und denkmalpflegerische Korrektheit ist es für mich auch immer ausschlaggebend, ob das gesamte Ensemble in sich stimmig und überzeugend ist. Der persönliche Geschmack spielt hier natürlich eine Rolle, aber es lassen sich auch objekive Argumente anbringen, die das optische Erscheinungsbild einer Orgel als gelungen oder weniger gelungen bewerten. Um auf das Ausgangsbeispiel zurückzukommen: Die Orgel in Molbergen (übrigens die ältesten im Oldenburger Münsterland erhaltenen Orgelgehäuseteile) ist hier für mich aufgrund der genannten verlorenen „Leichtigkeit“ nicht hunderprozentig überzeugend, aber insgesamt doch als gelungene Neuinterpretation eines barocken Orgelgehäuses zu bezeichnen.

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