Mein Ur-Großvater mütterlicher Linie [Kekule-Nr. 22 in der Ahnenliste]
Geboren am 13. Juli 1895 in Schmedenstedt bei Peine – gestorben am 19. Oktober 1958 in Rheinhausen-Hochemmerich.
Unter meinen zumeist katholischen Vorfahren war mein Urgroßvater Emil Gehrmann einer der wenigen mit evangelisch-lutherischer Konfession. Er stammte aus dem kleinen niedersächsischen Ort Schmedenstedt bei Peine, einer hauptsächlich evangelisch reprägten Region. Emil war das dritte von insgesamt vier Kindern des Schuhmachermeisters Friedrich Gehrmann und dessen Ehefrau Alwine (geborene Clarck), wurde am 13. Juli 1895 geboren und knapp zwei Wochen später, am 25. August 1895 in der ev.-luth. St.-Georgs-Kirche in Schmedenstedt auf den Namen Heinrich Friedrich Eduard Emil Gehrmann getauft. Seine Schwester Adele war sechs Jahre älter als er, eine weitere Schwester namens Agnes verstarb im Alter von anderthalb Jahren noch vor seiner Geburt, und 1900 wurde der jüngere Bruder Richard geboren.
Nur zwei Jahre nach Richards Geburt – am 20. August 1902 – starb der Vater Friedrich Gehrmann im Alter von nur 48 Jahren. Für die Witwe Alwine Gehrmann, die nun mit drei Kindern alleine dastand, sicherlich keine einfache Zeit. Und so ging sie vier Jahre später ihre zweite Ehe ein: Ihr zweiter Ehemann war der ebenfalls verwitwete Walzwerkarbeiter Christian Wolpers, mit dem sie einen weiteren Sohn bekam, den 1908 geborenen Walter Wolpers, der also 13 Jahre jünger war als sein Halbbruder Emil.
Von 1901 bis 1909 besuchte Emil Gehrmann die Volksschule in Peine. Vielleicht war es sein Stiefvater Christian Wolpers, der als Walzwerkarbeiter dafür sorgte, dass Emil ebenfalls eine Arbeit im Stahl- und Verhüttungswesen fand. Vielleicht war es aber auch das nicht so gute Verhältnis zwischen den beiden, das Emil dazu bewog, seinen Heimatort zu verlassen. Jedenfalls ging Emil nach dem Volksschulabschluss nach Hochemmerich am Rhein, wo er als Elektriker bei der Fa. Krupp angelernt wurde. Die dortige Friedrich-Alfred-Hütte war um 1910 eines der größten Hüttenwerke Europas, 1908 hatte Krupp hier die Elektrostahlerzeugung aufgenommen – ein Verfahren zur Stahlherstellung, bei dem die benötigte Wärme durch einen elektrischen Lichtbogen oder Induktion erzeugt wird –, so dass dem Elektrikerberuf hier eine besondere Bedeutung zukam.
Unweit der Hütte wohnte Emil Gehrmann in einer Wohnung in der Bismarckstraße 34II in Friemersheim. Recht bald lernte er hier auch die etwa gleichaltrige Helene Willnecker kennen, die um 1904 mit ihren Eltern und Geschwistern aus dem Saargebiet nach Hochemmerich gezogen war. Helenes Familie, vor allem ihre älteste Schwester Kätha sah die Liaison der beiden recht kritisch, da Helene katholisch und Emil evangelisch war – doch zumindest Helene scheint sich ihrer Sache schon recht früh sicher gewesen zu sein, so schrieb sie bereits 1915 auf einer Postkarte an ihren Bruder Wilhelm von Emil als ihrem »Bräutigam«.
So oder so war aber an eine Heirat zunächst nicht zu denken, denn nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Emil Ende August 1915 zum Militärdienst einberufen. Als Mitglied der 9. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 219 kämpfte er ab September 1915 zunächst an der deutschen Ostfront in Weißrussland (u. a. bei der großen und verlustreichen Baranowitschi-Offensive) und dann im Zuge der deutschen Frühjahrsoffensive ab Mai 1917 bis gegen Ende des Kriegs im Spätsommer 1918 an der deutschen Westfront in Frankreich. Für seine militärischen Dienste wurde ihm am 6. Juli 1918 das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen.
Nach seiner Rückkehr in die niederrheinische Heimat nahm Emil die Arbeit auf der Friedrich-Alfred-Hütte als Obermonteur im Bereich Schwachstrom und Fernmeldewesen wieder auf. Und im Sommer 1920 kam es dann schließlich doch zur Heirat, die sogar als Doppelhochzeit von Emil und Helene sowie deren Schwester Kätha mit ihrem Verlobten Peter Kuller gefeiert werden konnte. Am 22. Juli 1920 fand die standesamtliche Hochzeit statt, und zwei Tage später, am 24. Juli 1920, heirateten sie kirchlich in der Pfarrkirche St. Peter in Hochemmerich unter Pfarrer Hugo Deitermann.
In der Schulstraße 12 in Hochemmerich, wo Emil seit seiner Rückkehr aus dem Kriegsdienst lebte, wohnten die jungen Eheleute in der ersten Zeit nach der Hochzeit nun gemeinsam. Ein Jahr nach der Hochzeit, am 14. Juni 1921, wurde ihnen ihr erstes und einziges Kind geboren: meine Großmutter Herta, die rund zwei Wochen nach der Geburt, am 26. Juni 1921, in St. Peter Hochemmerich katholisch getauft wurde.
Wenig später ergab sich für die junge Familie die Möglichkeit, in ein eigenes Haus (zur Miete) zu ziehen: Die Gartenstadt Margarethensiedlung in der 1923 aus Hochemmerich und Friemersheim gebildeten Gemeinde Rheinhausen wurde in dieser Zeit in einem dritten Bauabschnitt erweitert. Die 1922/23 von Georg Metzendorf geplanten Doppel- und Mehrfamilienhäuser gruppierten sich in dörflich-kleinstädtischer Struktur um den zentralen, parkähnlichen Berthaplatz. Und dort in der Irmgardstraße 2 fand die junge Familie Gehrmann ihr neues Zuhause. Emil hätte sich zwar eigentlich ein noch größeres, ›feineres‹ Haus gewünscht, aber es war ausdrücklicher Wunsch seiner Ehefrau Helene gewesen, dort hinzuziehen. Die Wohnung erstreckte sich über zwei Etagen und war der rechte äußere Teil eines Vierparteienhauses am Anfang der Irmgardstraße, nur wenige Meter vom Berthaplatz entfernt. Die Aufteilung des Hauses war einfach und zweckmäßig: Von der großen Wohnküche im Erdgeschoss (Emil hatte die ursprünglich zwei Räume später durch Abriss einer Wand zusammengeführt) ging es zwei Stufen abwärts in einen Anbau mit Spülküche und Toilette; ein Stallanbau wurde als Abstellraum genutzt, später installierte Emil hier eine Badewanne, die aus der Spülküche heraus per Eimer mit Wasser befüllt werden musste. Im Obergeschoss befanden sich die beiden Schlafzimmer. Hinter dem Haus gab es einen Garten mit einer weinberankten Laube – der Ort, wo sich ›das Leben abspielte‹. Alles, was man zum täglichen Leben brauchte, war fußläufig erreichbar: der Kruppsche Konsum und das Kruppsche Waschhaus. Und die Friedrich-Alfred-Hütte war auch nur 500 Meter entfernt. So war der schicke Lloyd 300, den Emil sich in den Nachkriegsjahren leistete und für den er etwas abseits des Wohnhauses eine Garage gemietet hatte, eigentlich purer Luxus.
Ab 1922 sang Emil im Gesangverein ›Viktoria‹ unter Leitung von Hein Ramacher, dem er auch freundschaftlich eng verbunden war (auf dem » Hochzeitsfoto von Emil und Helene Gehrmann ist er als einziges Nicht-Familienmitglied zu sehen, ganz links stehend). Die Tochter Herta besuchte ab 1927 die Volksschule Rheinhausen und erhielt außerdem Klavierunterricht bei der Lehrerin Hanne Laudert – mehrfach trat sie mit Erfolg bei Konzerten und Wettbewerben auf. Nach dem Schulabschluss machte sie wie die Mutter eine kaufmännische Lehre bei der Kruppschen Konsumanstalt in Rheinhausen.
Emil legte Wert auf ein ›feines‹ Auftreten – gut gekleidet und gut gekämmt, selbst bei seinem im fortgeschrittenen Alter nur noch spärlichen Haar. Doch dieses Bestreben wurde ihm auch einmal zum Verhängnis, als er im Nachkriegs-Hungerwinter 1946/47 beim heimlichen ›Hamstern‹ nachts auf den Feldern eine feine weiße Jacke trug und dadurch natürlich unübersehbar war und erwischt wurde. Wie seine Geschwister, so hatte auch Emil einen recht ungestümen Charakter – wenn er sich über etwas ärgerte, gingen dabei auch schon mal Sachen zu Bruch. So zerbrach er beispielsweise einmal aus Frust fast alle seine Schallplatten; ein andermal hatte er eine fehlerhafte Fahrradlampe verärgert gegen die Wand geworfen, um danach dann stundenlang in aller Ruhe die zerschmetterte Lampe wiederherzustellen. Seine Frau bezeichnete ihn mit stoischer Gelassenheit dann oft scherzhaft als »armer Irrer« – wohlwissend, dass er sich danach wieder beruhigte.
Von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs blieb die Familie Gehrmann weitgehend verschont, auch musste Emil als über 40-Jähriger nicht mehr in den Kriegsdienst, sondern diente 1944/45 als Telefonist bei der Heimatflak. Nach wie vor arbeitete er in seinem Beruf als Elektriker auf der Friedrich-Alfred-Hütte, 1940 war er dort zum Werkmeister befördert worden. Einmal wurde er nachts in den Betrieb gerufen, um ein technisches Problem zu beheben. Dabei trat er versehentlich auf eine Starkstromleitung – durch den elektrischen Schlag biss er seine Tabakpfeife durch, die er gerade im Mund hatte. Überhaupt war er ein passionierter Raucher – ›seine‹ Marke waren die starken Roth-Händle-Zigaretten, die man oft auch als »Lungentorpedos« bezeichnete.
Emil Gehrmann war mit seiner Familie regelmäßig bei der Verwandtschaft in Peine zu Besuch. Zu seinen Geschwistern und seinem Halbbruder Walter hatte er (anders als zu seinem Stiefvater Christian Wolpers) ein gutes und enges Verhältnis. Außerdem fuhr er gerne in die Berge in den Urlaub – viele Jahre in den Thüringer Wald und den Harz, nach dem Krieg mehrfach nach Hundsbach bei Forbach im Nordschwarzwald. Die ganz hohen Berge der Alpen mied er jedoch – sie würden ihn erdrücken, sagte er. Und auch an die See zog es ihn nicht. Viele seine Urlaubspostkarten versah er mit dem Victor von Scheffel zugeschriebenen »Berg-Psalm«: »Ehre sei Gott in der Höhe! / Er hat die Berge so hoch gestellt und tat damit seiner Weisheit kund: / Damit nicht jeder Lumpenhund, mit denen die Täler so reichlich gesegnet, / dem fröhlichen Wanderer hier oben begegnet. / Ehre sei Gott in der Höhe!«
1949 heiratete die Tochter Herta meinen Opa Klemens Frieg, den sie bereits 1947 kennengelernt hatte, und zog zu ihm nach Essen-Karnap. Dort wurden die drei Enkelkinder Paula, Clemens und Klaus geboren, wobei Emil den Jüngsten kaum noch kennenlernen konnte – denn nur ein halbes Jahr nach dessen Geburt verstarb Emil Gehrmann an den Folgen eines zweiten Herzinfarkts am 19. Oktober 1958. Er wurde 63 Jahre alt. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof in Essen-Karnap, wo die Familiengrabstätte Frieg-Gehrmann bis heute besteht.
Friedrich Gehrmann (01.10.1853 – 20.08.1902) ⚭ Alwine Clarck (25.05.1866 – 04.01.1931)
|
Emil Gehrmann (13.07.1895 – 19.10.1958) ⚭ Helene Willnecker (05.11.1895 – 02.09.1965)
|
Herta Gehrmann (14.06.1921 – 18.04.2010) ⚭ Klemens Frieg (10.03.1913 – 30.01.1997)
|
Paula Frieg (⚭ Isenberg)
|
Dr. Gabriel Isenberg
» Ich freue mich jederzeit über ergänzende Informationen und Materialien. Schreiben Sie mich gerne an!