Mein Ur-Großvater mütterlicher Linie [Kekule-Nr. 20 in der Ahnenliste]
Geboren am 29. Januar 1881 in Essen – gestorben am 8. Juni 1966 in Essen-Karnap.
Die ehemalige Bauerschaft Carnap (ab 1911 offiziell »Karnap«) nördlich der Emscher war über viele Jahrhunderte durch Landwirtschaft und Pferdezucht geprägt gewesen – bis heute deutet das Karnaper Wappen mit der Pferdepramme (einer Rossbremse) auf die Pferdezucht im Emscherbruch hin. Mitte des 19. Jahrhunderts brachte der Bergbau einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung des Orts mit sich: In den 1850er Jahren hatte der Ruhrorter Bergwerks-Actienverein mit den ersten Teufarbeiten für die Zeche Carnap begonnen, die 1864 von der Familie Stinnes erworben und zur familieneigenen Zeche mit Kokerei und Ziegelei ausgebaut wurde. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Betrieb zu den seinerzeit größten Zechen im Ruhrgebiet ausgebaut und war lange Zeit der wichtigste Arbeitgeber von Carnap – seit 1929 nördlichster Stadtteil von Essen. Unmittelbar vor den Werkstoren der Zeche Mathias Stinnes I/II/V an der Carnaper Königstraße (heute Karnaper Straße) befand sich die Gastwirtschaft, die mein Urgroßvater Clemens Frieg ab 1911 betrieb. So war die Karnaper Zeche für Clemens Frieg zeit seines Lebens prägend, auch wenn er nicht selbst im Bergbau arbeitete.
Clemens Frieg wurde am 29. Januar 1881 in Essen als jüngstes von sieben Kindern der Eheleute Heinrich Frieg und Agnes Müller geboren. Die Taufe fand am 6. Februar 1881 in der Pfarrkirche St. Gertrud in Essen statt, Taufpaten waren Clemens Timmers und Cäcilia Müller. Sein Vater Heinrich Frieg (1842–1904) stammte aus dem benachbarten Ort Horst an der Emscher und arbeitete im Bergbau, später war er auch als Gefangenentransporteur tätig. 1867 hatte er in St. Gertrud Essen die rund anderthalb Jahre ältere Agnes Fischer, geb. Müller (1841–1882), Witwe des verstorbenen Bergmanns Johann Fischer in Altenessen, geheiratet, die bereits einen Sohn namens Theo mit in die Ehe brachte. Dreizehn Monate nach der Geburt des siebten gemeinsamen Kindes Clemens Frieg verstarb Agnes Frieg (geb. Müller, verw. Fischer) am 4. März 1882. Es müssen schwierige Zeiten für den Witwer Heinrich Frieg gewesen sein – er musste nicht nur für sich selbst, sondern auch für seinen Stiefsohn und die sechs eigenen Kinder sorgen (der zweitälteste Sohn war bereits als Kleinkind verstorben).
Die älteste Tochter Maria – obwohl selbst erst 13 Jahre alt – musste fortan viel im Haushalt mithelfen. Und dann starb vier Jahre später, am 15. April 1886 auch noch der drittälteste, gerade erst zehn Jahre alte Sohn Oswald, was das Familienleben offenbar noch weiter durcheinander brachte: Auffällig sind nach Oswalds Tod die ständigen Wohnortwechsel der Familie, die sich anhand der Essener Adressbücher dokumentieren lassen: 1887 wohnte Heinrich Frieg mit seinen Kindern am Gänsemarkt 45 im Zentrum von Essen, 1889 in der Herkulesstraße 65, 1891 in der Frillendorfer Straße 5, 1893 in der Engelbertstraße, 1895 in der Beisingstraße 28, 1896 und 1898 in der gleichen Straße unter der Nr. 20, ab 1900 in der Bruchstraße 66 und ab 1903 in der Lindemannstraße 16 (diese Wohnadresse wird auch in Heinrich Friegs Sterbeurkunde genannt).
Die schwierigen Lebensverhältnisse führten dazu, dass der junge Clemens Frieg kaum engeren Kontakt zu seiner Familie und den Geschwistern aufbauen konnte. Engen Kontakt pflegte er jedoch sein ganzes Leben lang zu seinem 15½ Jahre älteren Halbbruder Theo Fischer (dem ersten und einzigen Kind aus der ersten Ehe seiner Mutter Agnes), der später als Bergmann arbeitete und unverheiratet blieb. Vielleicht hatte er sogar einige Zeit bei ihm gewohnt.
Im April 1895 schloss Clemens Frieg seine Volksschulzeit nach acht Jahren an der kath. Gemeindeschule VII Essen mit insgesamt sehr gutem Ergebnis ab und begann im Anschluss eine dreijährige Bäckerlehre bei Otto Hohlmann, der seine »Grob- und Feinbäckerei« in der Engelbertstraße 33 im Essener Ostviertel betrieb. Hohmann bescheinigte ihm zum Abschluss der Lehre am 10. Mai 1898: »Der Bäckerlehrling Clemens Frieg hat bei mir 3 Jahre gelernt und hat sich während dieser Zeit durch Fleiß und Ehrlichkeit gut betragen und kann ich derhalben jedem Colegen als Gehülfe empfehlen.«
Die nächsten zwei Jahre verbrachte Clemens Frieg im sauerländischen Halver als Bäckereigehilfe bei Carl Eicker. Auch hier konnte ihm im Abschlusszeugnis vom 17. Juli 1900 bescheinigt werden, dass er »als brav und ehrlich« jedem Kollegen empfohlen werden könne. Nach seiner Zeit in Halver ging Clemens Frieg auf eigenen Wunsch zurück nach Essen, wo er nun als Kellner im Restaurant Heinrich Brinkmann in der Siemensstraße 54 Essen-West eine Anstellung hatte. Hier arbeitete er vom 15. Juli 1900 bis zum 3. November 1902.
Weitere Stationen führten ihn 1903 bis 1904 als Kellner ins Restaurant Heinrich Kirschfink in der Kettwiger Chausee 43 und von Februar 1905 bis Februar 1910 als Theaterkellner ans Operetten- & Varietéetheater Wolff's Colosseum am Essener Kopstadtplatz – seinerzeit eines der bekanntesten Revue- und Operettentheater im Westen Deutschlands.
Das Jahr 1911 markierte für Clemens Frieg den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Wenige Tage nach seinem 30. Geburtstag heiratete er am 7. Februar 1911 in der Essener St.-Gertrud-Kirche die Gastwirtstochter Paula Recker (1883–1921). Trauzeugen waren laut Kirchenbucheintrag Franz Porgschulte und Theodor Becke; wahrscheinlich muss der erste Name richtig Franz Borgschulte lauten, und der zweite war der jüngste Bruder der Braut, Theodor Recker. Im gleichen Jahr wagte Clemens Frieg auch den Schritt in die Selbständigkeit: Anfang Juni 1911 erwarb er bei einer Zwangsversteigerung das Schier'sche Gasthaus an der Königstraße 154 (heute Karnaper Straße) in Karnap, das er als Pächter offenbar schon seit November 1910 betrieben hatte. Die Gastwirtschaft war laut einer Zeitungsanzeige von 1893 die »älteste Wirthschaft der Gemeinde Carnap«. Sie muss wohl um 1863 zusammen mit dem Bau der Zeche Mathias Stinnes I/II/V errichtet und zunächst viele Jahre lang von dem Gastwirt Heinrich Gerz betrieben worden sein. Nach dessen Tod kaufte 1893 der aus Ueckendorf stammende Gustav Adolph Horn die Gastwirtschaft für 60.000 Mark. Wiederum nach dessen Tod 1897 übernahm dessen Schwager, der Gastwirt Georg Wolf den Betrieb, übergab diesen aber offenbar 1903 als Pächter an Heinrich Schier, der im Laufe der Zeit immer mehr Schulden anhäufte. Das Gebäude bestand aus zwei Gasträumen, vier Logierzimmern im I. Obergeschoss sowie Gartenanlage, Pferdestall und Wagenremise.
Als Clemens Frieg das Anwesen 1911 kaufte, übernahm er auch die auf dem Gebäude lastenden Schulden, die er durch den Betrieb der Gastwirtschaft sowie einen Bieraufschlag von 2 Mark pro Hektoliter abzutragen hatte. Am 7. September 1911 wurde ihm schließlich der »Erlaubnisschein zum Betriebe einer Gastwirtschaft« ausgestellt. In den folgenden Monaten nahm er dazu an dem Gebäude auch noch einige Umbauten vor; unter anderem war ihm die Auflage gemacht worden: »Für die Logiergäste im I. Obergeschoß muß ein Abort eingerichtet werden.« (Auf halber Treppe zwischen Erd- und Obergeschoss richtete er zwei Toiletten ein; außerdem gab es ein Pissoir für die Gaststätte.) Die Gaststätte befand sich in den Räumen im Erdgeschoss, während die Zimmer im Obergeschoss als Gästezimmer dienten. Clemens Frieg selbst hatte seine Wohnung im Obergeschoss des Hinterhauses, wo er zusammen mit seiner Frau Paula und deren jüngster Schwester Alma lebte – die Wohnung bestand aus einer Küche mit angeschlossenem Esszimmer, einem (!) Schlafzimmer mit drei Betten, dem Wohnzimmer sowie einem Bad mit Badewanne und Toilette. Im Garten hinter dem Haus hielt er bis in die 1950er Jahre auch Hühner.
Wenige Wochen nach der Eröffnung der Gastwirtschaft wurde den Eheleuten Clemens und Paula Frieg am 4. Dezember 1911 ihr erstes Kind geboren: die Tochter Paula. Rund 1¼ Jahr später folgte die Geburt des zweiten Kindes: Mein Großvater Klemens Frieg erblickte am 10. März 1913 das Licht der Welt.
Das Geschäft lief gut – die vielen im Tagelohn auf der Zeche beschäftigten Arbeiter brachten dem unmittelbar vor den Werkstoren gelegenen Gastwirt Frieg gutes Geld ein, wenn sie ihr schweißtreibend erworbenes Geld direkt wieder in Alkohol umwandelten. Die junge Familie Frieg mit den beiden kleinen Kindern hatte ein gutes Auskommen.
Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, musste sich Clemens Frieg Ende August 1914 zur Landsturm-Rolle, d. h. zur Musterungsliste der Wehrpflicht anmelden; am 1. März 1915 erhielt er nach erfolgter Musterung seinen Landsturmmusterungs-Ausweis und gehörte ab April 1915 dem Rekrutendepot des 12. Landsturm-Infanterie-Ersatzbataillons des VII. Armee-Korps Friedrichsfeld an, d. h. er durfte zunächst zuhause bleiben, konnte aber jederzeit im Kriegsdienst eingesetzt werden. Laut Rechnung vom 12. April 1915 schaffte er beim Klavierhändler J. & A. Lampferhoff in Essen zwei Klaviere für die Gastwirtschaft und seine Privatwohnung an. Das Westermayer-Klavier in der Gastwirtschaft, das seinerzeit auch für die Proben des Karnaper Arbeiter-Gesangvereins genutzt wurde, existiert heute nicht mehr; aber das Kaps-Klavier, das Clemens Frieg für den privaten Klavierunterricht seiner Kinder angeschafft hatte, ging nach dem Tod der Tochter Paula Frieg 1975 an meine Eltern und steht bis heute dort im Wohnzimmer – es hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich schon als kleines Kind mit dem Klavierspiel begonnen habe.
Zurück in die Zeit des Ersten Weltkriegs: Alsbald wurde Clemens Frieg dann doch zum Kriegsdienst eingezogen. Mitte Juni 1915 war er im Landsturm-Arbeitskommando am Osterbaum in Elberfeld, wie einer Postkarte zu entnehmen ist, die seine Familie an ihn adressierte. Vermutlich kehrte er danach zwischendurch wieder zu seiner Familie zurück und diente dann erneut vom 22. April 1918 bis Kriegsende Ende November 1918 als Kanonier in der 4. Batterie des Feldartillerie-Regiments Nr. 22, später Nr. 18 in Frankfurt/Oder.
Dass Clemens Frieg in dieser Zeit zu den angesehen Menschen des Ortes gehörte – als Gastwirt war er sicherlich jedermann bekannt –, zeigt sich auch darin, dass er im Februar 1919 in den Gemeinderat von Karnap gewählt wurde.
Die glückliche Familienzeit nach dem Krieg währte jedoch nicht lange. Denn im Sommer 1921 erkrankte Paula Frieg von jetzt auf gleich an einer schweren Lungenentzündung, an der sie schließlich nach wenigen Tagen am 17. Juli 1921 im Alter von nur 38 Jahren in den Städtischen Krankenanstalten (heute Uniklinik) in Essen-Rüttenscheid verstarb. Ob die Erkrankung ein später Ausläufer der »Spanischen Grippe« war, die als Pandemie in den Jahren zuvor Millionen von Menschen dahingerafft hatte, vermögen wir heute nicht mehr zu beurteilen.
Jedenfalls stand Clemens Frieg nun mit seinen beiden Kindern, die gerade erst neun und sieben Jahre alt waren, alleine da. Seine Schwägerin Alma Recker (1893–1974), die ja bereits seit der Heirat 1911 mit im Haus lebte, übernahm jetzt sozusagen die Rolle als Mutterersatz und kümmerte sich (neben der Arbeit im Haushalt und in der Wirtschaft) um die Erziehung der Kinder. Und dennoch waren die Kinder viel sich selbst überlassen, und ihre Kindheit und Jugendzeit war durch das Leben in und um die Gastwirtschaft geprägt.
Ende der 1920er Jahre formierte sich in Karnap und Horst eine sog. »Notgemeinschaft«, in der sich Grundbesitzer aus den genannten Orten zusammentaten und gegen die Rauchschäden klagten, die durch Abgase von der Kokerei auf der Schachtanlage Matthias Stinnes I/II/V verursacht wurden. Man klagte, der Pflanzenwuchs sei »derartig vernichtet, daß man vielfach sich veranlaßt sah, das freie Gelände überhaupt nicht mehr zu bepflanzen, sondern es brach liegen zu lassen« (so eine Zeitungsmeldung in der Gelsenkirchener Zeitung vom 22.06.1932). Clemens Frieg war einer der Kläger dieser »Notgemeinschaft«. Der Prozess zog sich über mehrere Jahre hin, aber am Ende bekamen die Kläger Recht und erhielten eine nicht unerhebliche finanzielle Entschädigung. Und durch den Einbau einer »Staubabscheidungsanlage« meinte man 1933 das Problem bei Stinnes behoben und einen der ersten ›Umweltverschmutzungsskandale‹ des Ruhrgebiets abgewendet zu haben. Außerdem wurden Neuanpflanzungen vorangetrieben, so dass auch Clemens Frieg in seinem Garten zahlreiche Apfel- und Birnbäume anpflanzte. Die Apfelbäume hatten zwar nicht so lange Bestand, aber die rund zwanzig Birnbäume warfen noch bis in die 1960er Jahre solche Unmengen an Obst ab, dass die Familie mit dem Einmachen der Birnen alle Hände voll zu tun hatte.
Bald nach dem Tod seiner Ehefrau hatte Clemens Frieg die aktive Arbeit in der Gastwirtschaft aufgegeben und verpachtete fortan den Gasthof, der weiterhin unter dem Namen „Gasthof Frieg“ geführt wurde, an Franz Weirich. Mit einem guten Händchen für finanzielle Geschäfte lebte Clemens Frieg seitdem von den Einnahmen der Verpachtung und Geldanlagen, die zum Teil sicherlich auch auf die Entschädigungszahlungen aus dem Rauchschäden-Prozess zurückgingen. Außerdem betrieb er einen Großhandel mit Tabakwaren, dessen (auf dem in unserer Familie noch erhaltenen Briefpapier aus der Zeit angegebene) Adresse mit der Beuststraße 65 auf die Wohnadresse von Clemens' Schwager Peter Laufenberg (den Ehemann seiner Schwester Maria) hinweist. Zum Großhandel gehörten zahlreiche Tabakautomaten in Essen, die regelmäßig befüllt werden mussten (meistens durch seinen Sohn Klemens).
Seine beiden Kinder genossen eine gute Schulausbildung. Die Tochter Paula legte am 19. März 1931 ihr Abitur auf dem katholischen Oberlyzeum B.M.V. in Essen-Holsterhausen ab. Und der Sohn Klemens bestand am 10. März 1933 das Abitur am städtischen Reform-Realgymnasium in Altenessen. Doch mit dem erstarkenden Nationalsozialismus und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs begannen auch für die Kinder schwere Zeiten. Paula studierte ab dem Sommersemester 1931 zunächst in München und Freiburg und dann ab dem Sommersemerster 1932 in Bonn Naturwissenschaften. Anfang Januar 1937 legte sie in Bonn ihr Erstes Staatsexamen für das Lehramt an höheren Schulen ab und begann dann mit Anfang des neuen Schuljahres im April 1937 ihr Referendariat am Oberlyzeum Oberhausen und an der Luisenschule Essen. Die pädagogische Abschlussprüfung im Juni 1939 bestand sie jedoch nicht, was – wie sie selbst in ihrem Lebenslauf schreibt – »nach den Worten des Oberschulrats zu urteilen« wohl u. a. an ihrem Bekenntnis zum katholischen Glauben und am Nichteintritt in die NSDAP lag. Daraufhin trat sie am 5. Juli 1939 eine Stelle als Chemikerin bei Krupp in Essen an. Auf eigenen Wunsch beendete sie ihre Arbeit dort im April 1945 und nahm nach Kriegende erneut das Referendariat auf, was sie schließlich auch mit der bestandenen Zweiten Staatsprüfung abschließen konnte. Danach unterrichtete sie die Fächer Mathematik, Physik und Chemie am Mädchengymnasium B.M.V. in Essen-Holsterhausen und wechselte 1959 an die Maria-Wächtler-Schule in Essen-Rüttenscheid. Sie blieb unverheiratet und wohnte weiterhin im Elternhaus in der Karnaper Straße 154. Ein langer Ruhestand war ihr nicht vergönnt: Sie starb unmittelbar nach ihrer Pensionierung am 18. September 1975.
Der Sohn Klemens Frieg, mein Opa, begann 1934 eine kaufmännische Lehre bei der Friedrich Krupp AG Essen, wo er auch nach seiner Lehre weiterarbeitete. 1938 wechselte er als kaufmännischer Angestellter zu den Ford-Werken in Köln, wurde aber im August 1939 zur Wehrmacht eingezogen. Als Teil des Deutschen Afrikakorps kam er im Herbst 1942 nach Nordafrika und geriet am 13. Mai 1943 in amerikanische Gefangenschaft. Nach Kriegsende wurde er ins Gefangenenlager Château-Salins in Frankreich überführt, von wo aus er über Luxemburg in seine Heimat fliehen konnte. Als er wieder in Karnap eintraf, stand sein Elternhaus in der ehem. Königstraße 154, die seit 1933 den Namen Karnaper Straße trägt, noch weitgehend unversehrt, während ganz Essen im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs enorme Schäden davongetragen hatte. Und auch seine Familienmitglieder hatten alle den Krieg überlebt. Welch ein unfassbares Glück!
In dem Gasthaus in der Karnaper Straße 154 kamen in den Nachkriegsjahren viele Familien als Zwangseinquartierte unter – in jedem Zimmer wohnte eine Familie, und manche auch auf den Fluren, nur von schweren Vorhängen voneinander getrennt.
Aber auch Clemens und seine beiden Kinder Paula und Klemens wohnten weiterhin in dem Haus. Klemens hatte ein eigenes Zimmer im Dachgeschoss, das er ab dem Sommer 1948 zusammen mit seiner Ehefrau Herta Gehrmann (1921–2010), meiner Oma, bewohnte. Als Ende August 1950 die erste Tochter, meine Mutter Paula, geboren wurde, konnte die junge Familie eine größere Zwei-Zimmer-Wohnung im gleichen Haus beziehen; erst 1957 wechselte die Familie, zu der inzwischen zwei Kinder gehörten, in eine eigene Etagenwohnung einige Straßenzüge weiter, wo schließlich auch das dritte Kind geboren wurde.
Clemens Frieg fühlte sich in Karnap in seinem Haus wohl. Er hatte keinen Führerschein und ließ sich nur hin und wieder ins Münsterland fahren, »wo's so schön ist«; einmal machte er mit seinem Sohn und der Familie einen Tagesausflug an die Nordsee. Gerne saß er am Fenster in seinem Esszimmer und blickte auf den Hof und in den Garten. Er schätzte gutes Essen und backte einmal im Jahr zu Weihnachten Christstollen – immerhin war er ja gelernter Bäcker.
Das Haus in der Karnaper Straße zeigte einige der für das Ruhrgebiet typischen Bergschäden, so fielen z. B. alle Böden zur Gartenseite hin deutlich ab. Und im Zweiten Weltkrieg hatte das Haus einen Granattreffer abbekommen. Dort, wo die Granate durch den Boden des Wohnzimmers geschlagen war, war der Fußboden nur notdürftig geflickt, so dass er dem Gewicht eines Erwachsenen nicht standgehalten hätte – aber Kindergewicht konnte der Boden tragen, und so zog sich meine Mutter als Kind hierhin gerne in ihre »Denkecke« zurück. Noch 1975 wurde im Keller hinter Bierfässern der Wirtschaft versteckt eine 7,5-Zentimeter-Flak-Granate aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, die vom Kampfmittelräumdienst aus Düsseldorf abgeholt werden musste – darüber berichtete am 6. Juni 1975 sogar die Bild-Zeitung.
Nach dem Tod von Clemens Frieg am 8. Juni 1966 ging das Haus in der Karnaper Straße 154 an seine Enkel (meine Mutter und ihre beiden Brüder) über, die das Haus schließlich 1983 an den Maler- und Lackierermeister Hans Dieter Kensy (✝2009) verkauften. Bis in die 1980er Jahre, also auch noch nach Stilllegung der Zeche Mathias Stinnes 1972, wurde in der Karnaper Straße 154 die Gaststätte »Glückauf« betrieben. Heute ist das Gebäude in mehrere Mietwohnungen aufgeteilt. Eine über hundertjährige Tradition der Gastwirtschaft vor den Werkstoren der Zeche Mathias Stinnes I/II/V ist Geschichte – und mein Urgroßvater Clemens Frieg war 55 Jahre lang Teil dieser Geschichte.
Heinrich Frieg (07.11.1842 – 10.07.1904) ⚭ Agnes Müller (13.03.1841 – 04.03.1882)
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Clemens Frieg (29.01.1881 – 08.06.1966) ⚭ Paula Recker (25.03.1883 – 17.07.1921)
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Klemens Frieg (10.03.1913 – 30.01.1997) ⚭ Herta Gehrmann (14.06.1921 – 18.04.2010)
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Paula Frieg (⚭ Isenberg)
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Dr. Gabriel Isenberg
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