Vor einigen Wochen sind zwei Besprechungen meiner CD „Klangfarben aus Reiste“ erschienen, auf die ich hiermit hinweisen möchte.
Für alle, die Interesse an der CD gefunden haben: Hier kann die CD bestellt werden.
1. Besprechung
Sebastian Freitag für Kirchenmusikalische Mitteilungen 2/2021, Erzbistum Paderborn, S. 37f [Scan]
Drei Jahre lang, von 2015 – 2018, wurde die historische Orgel der Pfarrkirche St. Pankratius in Reiste (Sauerland) von der renommierten Orgelbaufirma Eule aus Bautzen restauriert. Im Frühjahr des vergangenen Jahres fanden schließlich Aufnahmen für eine neue CD-Produktion an der Reister Orgel statt, die das Instrument in all ihren Klangfarben umfassend vorstellt. Das Klangbild der Orgel liegt stilistisch auf der Schwelle zwischen Barock und Romantik. Acht der insgesamt 29 Register stammen aus der ersten Orgel von 1633; die Grundsubstanz der jetzigen Orgel geht auf 1854 zurück. Ganz bewusst stammen auch die eingespielten Kompositionen aus eben dieser „Übergangszeit“.
Den Komponisten Pater Chrysologus Heimes wird bestimmt noch niemand gehört haben? In Reiste ist er allerdings kein Unbekannter: von 1822 bis zu seinem Tode wirkte er als Priester in Reiste! Mit dem Komponisten Christian Heinrich Rinck verband ihn eine Freundschaft, somit ist eine musikalische Brücke zu dem eingespielten „Präludium und Fuge über B-A-C-H“ von Rinck geschlagen. Das Thema B-A-C-H ist gleichsam die Hommage an Johann Sebastian Bach, mit dessen D-Dur Präludium BWV 532 die CD eröffnet und mit dem das Klangbild des Hauptwerks von 1633 wiedergespiegelt wird.
Die besonderen Schönheiten dieser Orgel liegen vor allem in den vielen 8' und 4' Stimmen; den Flöten- und Streicherchören. Diese kommen mit der Musik von Pater Chrysologus umfassend zur Geltung. Bei den eingespielten Sonaten (sie sind im Nachlass des Paters zu finden und bisher noch nicht veröffentlicht) handelt es sich nicht um „große“ Musik! Bei den Werken, die ebenso auf dem Klavier oder anderen Tasteninstrumenten gespielt werden könnten, handelt es sich um ein Repertoire, wie es zu jener Zeit vor allem in (süddeutschen) Kirchen und Klöstern von Mönchen gespielt wurde: nicht polyphon, sondern vorwiegend homophon in galanter Schreibart. Diese Musik ist klavieristisch, gefällig, lebensfroh; vergleichbar mit Kompositionen von Grünberger oder Rathgebet, die ebenfalls Priester waren.
Zwei Werke von Mozart, u. a. das bekannte „Thema und Variationen in A-Dur KV 331“, ergänzen das Repertoire auf der CD.
Die eingespielten Werke kommen den klanglichen Stärken dieser Orgel bestens entgegen und geben einen umfassenden und gleichzeitig differenzierten Eindruck der einzelnen Klangfarben.
Auf der Internetseite „Projekt Reister Orgel“ gibt es weitere ausführliche Informationen zum Instrument und zur Restaurierung.
2. Besprechung
Heiko Andersch für www.orgel-information.de
Direktlink zur dieser Rezension: https://www.orgel-information.de/Rezensionen/rezensionen.html#20210717_reiste
Dem Rezensenten ist es in der Vergangenheit schon öfter passiert, dass die versteckten Perlen unter den Orgel-CD-Neuerscheinungen zunächst übersehen wurden. So auch fast hier im Fall der Einspielung aus Reiste. Beim flüchtigen Blick auf das sehr schöne Cover glaubt man zunächst, eine kleinere Ladegast-Orgel oder einen Buchholz-Prospekt im herrlich naturbelassenen Zustand zu sehen. Die Neugier, sich mit dieser CD ausführlich zu beschäftigen, wird vollends durch den Verweis auf die Orgelsonaten (!) von Pater Chrysologus Heimes geweckt. Pater wer? Obwohl der Rezensent über ein Archiv von inzwischen über 1.000 Orgel-CDs verfügt, ist dieser Name eine echte Neuentdeckung. Und beim Lesen des kompakten, aber nicht minder informativen Booklets erweist sich die CD gleich in dreifacher Hinsicht als Glücksgriff und Perle.
- Die Aufnahme wurde im April 2020 eingespielt. Eine Orgel-CD mit überwiegend unbekannten Orgel-Sonaten im ersten Corona-Lockdown einzuspielen ist mutig und das rundum gelungene Ergebnis kann auch vor diesem Hintergrund nicht hoch genug gewürdigt werden – künstlerisch wie auch als Statement.
- Die Reister Orgel wurde von der Firma Eule aus Bautzen ab 2016 renoviert mit dem Ziel, die Fischer-Orgel in den Zustand zurückzuversetzen, den sie zu ihrer Erbauungszeit vor über 150 Jahren nie erreicht hatte. Sie wurde also im Zuge der Renovierung entsprechend den Ideen ihrer Erbauer erst vollendet. Mit 29 Registern und einer eigentlichen Erbauungszeit ab 1852 weist das Instrument den Weg aus der Klassik in die Frühromantik, u. a. mit Viola di Gamba und Gemshorn 8‘ als originale Streicherstimmen im Hauptwerk und dem Salicional 8‘ als Streicher im Positiv und dem Violonbass 16‘ im Pedal – alles Originalregister von 1854. Die Besonderheit sind allerdings auch mehrere schon damals wieder eingebaute barocke Register von 1633 in höherer Tonlage, wobei 2018 dann u. a. die gewichtigen Zungenstimmen wie Trompete 8‘ im Hauptwerk und die 16‘-Posaune im Pedal ergänzt wurden.
- Die vorgestellten Sonaten wurden von Pater Heimes in Reiste (im Sauerland) komponiert. Er war ab 1822 über 13 Jahre als Pfarrer tätig und komponierte dort u. a. seine 6 Orgel-Sonaten, wovon allerdings die erste gar nicht und die sechste nur in Teilen überliefert sind. Da die Orgel originale Register aus dieser Zeit hat, bietet die CD also die nicht so oft gegebene Möglichkeit, über die Zeit vergessenes, regionales Repertoire am Originalinstrument wiederzuentdecken. Die CD neben Bach mit Werken von Mozart und Rinck zu vervollständigen ist ebenso schlüssig und gelungen. Wie im Booklet ausgeführt wird, verband Heimes und Rinck eine langjährige Freundschaft.
Obwohl die CD eine kleine regionale Produktion ist (ohne Major-Label im Hintergrund), erfreut die Klangqualität auch den anspruchsvollen Hörer mit hochwertigen Lautsprechern (der Rezensent nutzt eine Anlage mit Air-Motion-Transformer nach Dr. Heil im Hochton). Die Orgel klingt direkt, aber nicht steril trocken, sondern alle Stimmen und Register sind klar und gut durchhörbar ohne Schrillheit in den Klangkronen. Sehr positiv zu bewerten ist der Ansatz des Organisten Dr. Isenberg, die Farbigkeit der Musik in voller Strahlkraft zu zeigen, ohne dabei auf vordergründige Effekthascherei mit extremen Tempi zu setzen. Die Orgel-Sonaten von Pater Heimes sind im positiven Sinne verspielt (es kommt einem durchaus etwas C.P.E. Bach in den Sinn), wodurch aber auch die Schönheit der Solo-Register wunderbar zum Tragen kommt. In der 4. Sonate (die Registrierung ist leider nicht angegeben) dürften es die Hohlflöte bzw. die Flauto Travers sein, die anmutig und gefühlvoll den lyrischen Vortrag übernehmen. Gleiches gilt für das zart und gefühlvoll gespielte „Andante cantabile“ aus der 3. Sonate. Im Adagio F-Dur vom Mozart hören wir den emotionalen Vortrag der barocken Vox Humana ergriffen zu – eine ganz tolle Solo-Stimme, der man stundenlang lauschen könnte, denn die Noten haben Raum, dürfen im Vortrag atmen. Die Sonaten von Heimes folgen zwar dem klassischen Schema schnell-langsam-schnell, aber es sind gerade die langsamen Sätze, in denen sich ganz viel Poesie und Klangschönheit entdecken lässt. Aber auch das Tutti der Reister Orgel ist von edler Strahlkraft. Die Mixtur gibt dem Werk einen funkelnden, aber gut integrierten Glanz, die Pedal-Posaune verfügt genau über die richtige Mischung aus trockenem Schnarren und frühromantischer Noblesse. Es fügt sich einfach alles in bemerkenswerter Farbigkeit zu einem großen Gesamtklang zusammen, was nicht zuletzt das Präludium und Fuge über B-A-C-H von Rinck eindrucksvoll zu Gehör bringt.
Man kann St. Pankratius in Reiste nur gratulieren zu diesem klangschönen Instrument, das auch einmal mehr die Kompetenz der Firma Eule für Restaurierungen ganz im Sinne des mitteldeutschen Klangideals unter Beweis stellt. Bleibt für den Hörer zu hoffen, dass dies nicht die letzte CD von Herrn Dr. Isenberg aus Reiste war.
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