Dornröschen in Oldenburg

Zwischen dem Forum St. Peter und der Garnisonkirche im Zentrum von Oldenburg befindet sich mit der Adresse Peterstraße 42 ein großes Gebäude, in dem das Staatliche Baumanagement Ems-Weser untergebracht ist. Kaum einer würde hier die älteste erhaltene Orgel der Stadt Oldenburg vermuten. Und in der Tat ist das Instrument kaum jemandem bekannt – die wenigsten werden es bisher gesehen und noch viel weniger gehört haben bzw. sich an den Klang erinnern. Denn die Orgel liegt schon seit rund 50 Jahren in einem tiefen Dornröschenschlaf und hat schon lange keinen Ton mehr von sich gegeben.
Am vergangenen Mittwoch hatte ich die Gelegenheit, das Instrument zu besichtigen.
Warum steht eine Orgel im Staatlichen Bauamt? In dem Gebäude war bis 1927 das Oldenburger Lehrerseminar untergebracht. Und zur Lehrerausbildung gehörte seinerzeit auch stets eine Unterweisung im Orgelspiel. So versteht es sich von selbst, dass in den meisten Lehrerseminaren die Aula als großer, repräsentativer Saal über eine größere Orgel verfügte, während es daneben in der Regel weitere kleine Übungsorgeln gab. Und eben jene Aula-Orgel ist in Oldenburg bis heute an Ort und Stelle erhalten geblieben. Schon beim Betreten des Raumes war ich von der stilistischen Einheit von Raum und Orgel beeindruckt. Das Wappen des ehem. Großherzogtums Oldenburg prangt mittig am Orgelgehäuse, umgeben von den Worten aus dem 150. Psalm „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Hallelujah!“. Darunter zwei goldene Engel, die mit ihren Flügeln sozusagen die drei mittleren Pfeifenfelder mit ihrem halbrunden Abschluss nach oben umfassen.
Die Orgel wurde 1902 von Johann Martin Schmid erbaut – man findet ihn als Mitglied der dritten Generation einer bedeutenden Oldenburger Orgelbauerfamilie auch oft als „Schmid III“ bezeichnet. Die originale Disposition mit 19 Registern auf pneumatisch gesteuerten Kegelladen war zeittypisch sehr grundstimmenbetont und abgesehen von der Mixtur nur mit Registern in 16'-, 8'- und 4'-Lage besetzt. 1954 nahm der Orgelbau Gustav Brönstrup aus Hude eine Umdisponierung vor und hellte den Klang auf. Wie Michael Hochgartz (Münster) in seinem Bestandsbericht 1988 schon festhielt, entstammt das Pfeifenwerk mehreren zeitlichen Schichten: Beim Orgelbau 1902 wurde auch älteres Material wiederverwendet, beim Umbau 1954 kamen sowohl neue als auch umgearbeitete Pfeifen von 1902 zum Einsatz.
Allein der Blick auf den an der linken Seite angebauten Spieltisch verrät, dass der Orgel keine Töne mehr entlockt werden können. Das Innenleben der Orgel ist zwar noch vollständig erhalten, jedoch in einem stark verwahrlosten Zustand. Der Grad der Verschmutzung ist sehr hoch, etliche Pfeifen liegen kreuz und quer in der Orgel umher, einige sind deutlich beschädigt; darüber hinaus sind orgelfremde Gegenstände (Kartons, alte Aktengestelle etc.) in der Orgel gelagert.
Es tut schon weh, ein äußerlich auf den ersten Blick so imposantes Instrument so verwahrlost zu sehen. Dabei ist die ehem. Lehrerseminarorgel die mit Abstand älteste erhaltene Orgel auf Oldenburger Stadtgebiet (in der Hl.-Geist-Kirche in Osternburg befindet sich eine 1937 von Heinrich Rohlfing erbaute Orgel, bei deren Bau Bestandteile aus einer ehemaligen Seminarorgel – aus Oldenburg? – wiederverwendet wurden; und einzelne Pfeifen in der Orgel in St. Peter könnten noch von 1852 stammen). Und auch im Oldenburger Land gehört die ehem. Aula-Orgel zu den ganz wenigen Instrumenten, die aus der Zeit der Jahrhundertwende erhalten sind, und „stellt praktisch die letzte erhaltene pneumatische Orgel aus der Werkstatt der Oldenburger Orgelbauerfamilie Schmid dar“ (Hochgartz 1988).
Doch eine Wiederspielbarmachung und erst recht eine fachgerechte Restaurierung wäre nur mit einem erheblichen finanziellen Aufwand zu bewerkstelligen. Und das würde wiederum nur Sinn machen bei einer regelmäßigen Nutzung, was sich bei der gegenwärtigen Verwendung des Gebäudes nicht abzeichnet. Eine Umsetzung der Orgel an einen anderen Ort wird durch die enge Verbindung zwischen Raum und Instrument ebenfalls quasi von vorneherein ausgeschlossen.
Insofern muss es bei der Orgel wohl oder übel auch in Zukunft bei einer denkmalpflegerischen Konservierung des Ist-Zustandes bleiben – in der Hoffnung, dass sich in weiterer Zukunft vielleicht einmal eine Gelegenheit ergeben wird, das „Oldenburger Orgel-Dornröschen“ aus dem inzwischen hundertjährigen (?!) Schlaf wach zu küssen…

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